
Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastungen am Arbeitsplatz: Herausforderung und unterschätzte Chance
- Kategorie : BGM-Beratung, News aus der Beratung von 2024
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So schlagen Sie mehrere Fliegen mit einer Klappe und schaffen eine nachhaltige Win-Win-Situation für Unternehmen und Belegschaft
- Erfüllung gesetzlicher Vorgaben (§5 Arbeitsschutzgesetz, ESG, CSRD, ESRS)
- Vermeidung von Produktivitätsverlusten
- Gewinnung von „guten“ Mitarbeitenden
- Reduktion von Fehlzeiten
Folgende Entwicklungen werfen die Frage auf, warum psychische Belastungen am Arbeitsplatz so stark zunehmen, obwohl viele Unternehmen bereits Maßnahmen zur Gesundheitsförderung implementiert haben: Psychische Erkrankungen gehören zu den am häufigsten diagnostizierten Krankheiten in Deutschland. Knapp 30 % der erwachsenen Bevölkerung sind davon betroffen, und die Anzahl der Fehltage aufgrund psychischer Erkrankungen hat sich in den letzten zehn Jahren um fast 50 % erhöht. Im Jahr 2022 erreichten psychische Störungen den zweiten Platz bei den Fehlzeiten, und nach ICD-10-Diagnosekapiteln belegten psychische und Verhaltensstörungen sogar den ersten Platz. Im Gegensatz dazu nehmen Fehlzeiten aufgrund von Erkrankungen des Muskel-Skelett-Systems stetig ab.
Psychische Belastungen: Ein unsichtbares Problem
Psychische Belastungen und Störungen lassen sich schwerer nachweisen als körperliche Erkrankungen, wie beispielweise Skeletterkrankungen oder Atemwegsinfekte. Diese Unsichtbarkeit macht es für Mitarbeitende einfacher, sich „psychisch bedingt“ krankschreiben zu lassen, wenn der Arbeitsdruck zu hoch wird, das Teamplay im Unternehmen einen Tiefpunkt erreicht hat, die Führung demotivierend ist, Ideen, Verbesserungsvorschläge lapidar abgelehnt werden, die Arbeitsorganisation schlecht ist oder die Wertschätzung ausbleibt. Hinzu kommen belastende Faktoren wie soziale und wirtschaftliche Ungleichheiten, globale Krisen wie Kriege und Pandemien sowie die allgemeine Unsicherheit und Überlastung im Alltag durch fehlende Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Diese Faktoren begünstigen sowohl psychische Belastungen und Erkrankungen wie bspw. Burnout, Depressionen und Angststörungen als auch unerwünschte Fluktuation und sich mal eben „krankschreiben lassen“, was neben hohen Kosten auch interne Reibungsverluste zur Folge hat.
Maßnahmen zur Stressbewältigung: Warum sie oft nicht ausreichen
Viele Unternehmen bieten bereits eine Reihe von Maßnahmen zum Belastungsausgleich an, wie Stressbewältigungsseminare, bewegte Pausen, höhenverstellbare Schreibtische, Yoga-Kurse oder mobile Massagen am Arbeitsplatz. Diese Angebote sind zweifellos positiv, setzen jedoch häufig nicht an den ursächlichen Problemen an. Sie adressieren meist die Symptome von Beanspruchung und Stress, wie körperliche Verspannungen oder Müdigkeit, ohne die tieferliegenden Ursachen zu bekämpfen.
Das bedeutet, dass die strukturellen Probleme, die bspw. Stress und psychische Belastungen verursachen, bestehen bleiben, was zu einem Teufelskreis führen kann. Die Folge ist, dass Mitarbeitende trotz der angebotenen Maßnahmen weiterhin unter hohen Belastungen leiden und krankheitsbedingt ausfallen, da sich die Arbeitsbedingungen nicht ändern.
Ganzheitliches Betriebliches Gesundheitsmanagement (BGM): Ein Lösungsansatz
Die Antwort auf diese Herausforderung könnte ein ganzheitliches Betriebliches Gesundheitsmanagement (BGM) sein. Ein BGM, das umfassend implementiert wird, hat das Potenzial, einen Wettbewerbsvorteil für Unternehmen zu schaffen. Es kann nicht nur die Krankheitskosten senken und die Bruttowertschöpfung steigern, sondern auch die Arbeitgeberattraktivität verbessern, was in Zeiten des Fachkräftemangels besonders wichtig ist. Und es reduziert die Belastungen ursächlich, so dass die Beschäftigten leistungsfähiger, leistungsbereiter und somit produktiver arbeiten. Ein ganzheitliches BGM umfasst daher verhaltenspräventive und verhältnispräventive Maßnahmen und bringt den Dreiklang von Körper, Geist und Seele und den Zweiklang von Menschen und Unternehmen in Einklang.
BGM als Schlüssel zum Unternehmenserfolg
Ein gut umgesetztes BGM unterstützt damit nicht nur das Personalmanagement und die Führungskräfte, sondern ist auch ein Weg, um Mitarbeiter zu begeistern, ein positives Betriebsklima zu schaffen, die Innovationskraft zu steigern und die Kundenzufriedenheit zu erhöhen. In einer Zeit, in der die psychische Gesundheit zunehmend gefährdet ist, müssen Unternehmen mehr tun, als nur oberflächliche Lösungen anzubieten. Es erfordert eine tiefgreifende Analyse und Anpassung der Arbeitsbedingungen, um die psychische Belastung der Mitarbeitenden zu reduzieren und ihre Gesundheit wirklich zu erhalten. In einer Welt, die immer komplexer und unbeständiger wird, sind Unternehmen gefordert, die psychische Gesundheit ihrer Mitarbeitenden ernst zu nehmen. Ein ganzheitliches BGM kann dabei helfen und gleichzeitig die Effizienz und Attraktivität des Unternehmens steigern.
BGM – von der Kür zur Pflicht
Das Betriebliche Gesundheitsmanagement (BGM) wird für einige Unternehmen durch die CSRD (Corporate Sustainability Reporting Directive) und die ESRS (European Sustainability Reporting Standards) verpflichtend, da diese Vorschriften eine umfassendere Berichterstattung über Nachhaltigkeitsaspekte fordern. Dazu gehören auch soziale Faktoren wie das Wohlbefinden der Mitarbeitenden. Unternehmen müssen nachweisen, wie sie zur Förderung der Gesundheit und Sicherheit ihrer Belegschaft beitragen, was dadurch BGM zu einem zentralen Bestandteil der Nachhaltigkeitsberichterstattung macht. Diese hat neben der ökologischen Perspektive auch eine gesellschaftliche Perspektive, zu der auch die Mitarbeitenden zählen, sowie eine wirtschaftliche Perspektive. Und da nach wie vor die Menschen in den Unternehmen den Unterschied machen, wird sich BGM zunehmend zu einem wichtigen Erfolgsfaktor entwickeln.
Darüber hinaus müssen Unternehmen im Zusammenhang mit dem ESG-Rating als Grundlage für nachhaltige Investitionen u.a. Angaben zu den Aspekten Sozial-, und Arbeitnehmerbelangen, Arbeitsbedingungen inkl. Gesundheitsschutz und Arbeitssicherheit machen. BGM rechnet sich über geringere Fehlzeiten, reduzierten Krankheitskosten, höherer Produktivität und verbesserter Mitarbeiterzufriedenheit, so dass dies mit einem positiven ROI (Return on Invest) nachgewiesen werden kann.

Der perfekte Einstieg: Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastungen am Arbeitsplatz
Die Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastungen (GBpsych) ist ein unverzichtbarer Bestandteil eines ganzheitlichen Betrieblichen Gesundheitsmanagements (BGM). Seit 2013 ist diese Beurteilung gemäß §5 Arbeitsschutzgesetz für jedes Unternehmen verpflichtend. Und über das Hinweisgeberschutzgesetz (HinSchG) können Mitarbeitende auch darauf hinweisen und es „anzeigen“, falls noch keine GBpsych durchgeführt wurde.
Ziel der GBpsych ist es, die Arbeitsbedingungen systematisch zu analysieren, um potenzielle psychische Belastungen zu identifizieren und geeignete Maßnahmen zur Prävention und Reduktion von Beanspruchungen wie Stress und anderen psychischen Risiken zu entwickeln. Durch eine sorgfältige Umsetzung kann die psychische Gesundheit der Mitarbeitenden langfristig geschützt und gefördert werden.
Zweistufiges Vorgehen zur erfolgreichen Umsetzung der GBpsych
Um die GBpsych erfolgreich im Unternehmen zu implementieren, empfiehlt sich ein zweistufiges Vorgehen:
1. Mitarbeiterbefragung
Der erste Schritt in der GBpsych ist die Durchführung einer umfassenden Mitarbeiterbefragung. Diese Befragung zielt darauf ab, die subjektive Wahrnehmung der Mitarbeitenden in Bezug auf ihre Arbeitsbedingungen und die damit verbundenen psychischen Belastungen zu erfassen. Wichtige Themenbereiche sind Arbeitsintensität, Handlungsspielräume, soziale Unterstützung sowie die Work-Life-Balance. Die Ergebnisse der Befragung liefern wertvolle Einblicke in die spezifischen Belastungsfaktoren und ermöglichen es, problematische Bedingungen zu identifizieren. Eine sorgfältig gestaltete anonyme Befragung fördert die Offenheit der Mitarbeitenden und erhöht die Zuverlässigkeit der Ergebnisse. Die daraus gewonnenen Daten sind die Grundlage für den nächsten Schritt: die Planung und Umsetzung gezielter und erfolgreicher Maßnahmen.
2. Maßnahmenworkshops
Auf Basis der Ergebnisse der Mitarbeiterbefragung werden gezielte Maßnahmenworkshops durchgeführt. In diesen werden gemeinsam konkrete Maßnahmen erarbeitet, um die identifizierten psychischen, aber auch weiteren Belastungen zu reduzieren. Die Beteiligung der Mitarbeitenden in diesen Workshops ist entscheidend, da sie von den Problemen direkt betroffen sind und wertvolle praktische Einsichten sowie Lösungen bieten können. Zudem fördert ihre Einbeziehung die Akzeptanz und Wirksamkeit der entwickelten Maßnahmen. Die Workshops sollten gut strukturiert und extern moderiert sein, um sicherzustellen, dass die Diskussionen vertrauensvoll, zielgerichtet und produktiv verlaufen. Aus den Workshops ergeben sich Maßnahmenvorschläge, die das Management in eine konkrete und umsetzbare Maßnahmenplanung überführt, welche zeitnah in die Praxis umgesetzt wird.
Fazit
Die Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastungen am Arbeitsplatz ist gesetzlich verpflichtend und ein essenzieller erster Schritt, um die Gesundheit der Belegschaft ganzheitlich zu steigern. Durch ein zweistufiges Vorgehen bestehend aus einer Mitarbeiterbefragung und anschließenden Maßnahmenworkshops können Unternehmen die relevanten Belastungsfaktoren identifizieren und wirksame Gegenmaßnahmen entwickeln. Diese systematische Herangehensweise trägt nicht nur zur Reduktion psychischer Belastungen und Krankheitstagen bei, sondern fördert auch ein gesundes und produktives Arbeitsumfeld im Unternehmen.
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